WhatsApp ändert die Nutzungsbedingungen und was das bedeutet
In den nächsten Tagen wird beim Öffnen von WhatsApp von neuen Nutzungsbedingungen berichtet, die ohnehin niemand lesen und verstehen wird, und man kann unten einen Haken entfernen, der einem etwas Datenschutz verspricht. So viel, in etwa, versteht man für gewöhnlich von den aktuellen Entwicklungen bei den Apps, über die ein riesiger Teil der privaten Kommunikation läuft.
Dabei ist es gar nicht einfach zu verstehen, inwiefern das trotzdem problematisch ist. Die Nutzungsbedingungen sind allesamt positiv geschrieben, aber natürlich geschickt formuliert. Was tatsächlich passiert wird natürlich nicht genau gesagt. Darüber hinaus muss man aus den Andeutungen erst mal schlussfolgern können, was die Auswirkungen sein werden. Dazu muss man die Möglichkeiten kennen! Zuviel verlangt für alltägliche Nutzer*innen, und das schreibe ich ganz ohne Sarkasmus.
Was die Nutzungsbedingungen tatsächlich ermöglichen
In der Zukunft wird die Rufnummer (als Nutzername bei WhatsApp) samt einiger weiterer Daten (wie oft man den Dienst nutzt, etc) mit Facebook geteilt (Quelle: FAQ zu den neuen Nutzungsbedingungen von WhatsApp). Es heißt weiterhin, dass diese Informationen nicht von anderen auf Facebook gesehen werden können, zur Beruhigung. Das ist allerdings ein Problem, was vermutlich gar niemand hatte; dass die Rufnummer plötzlich in meiner Chronik gepostet würde, war nie Grund für Beunruhigung meinerseits. Darüber hinaus gibt es die Möglichkeit, der personalisierten Werbung auf Grundlage dieser Vernetzung zu widersprechen. Das ist schon mal was und auch wichtig, allerdings schließt man damit nicht aus, dass die Vernetzung überhaupt stattfindet. Das geht auch nicht über Widerspruch-Posts auf der eigenen Chronik. Die haben noch nie funktioniert und werden auch niemals (niemals!) funktionieren.
Wieso das interessant ist
An dieser Stelle brauchen wir einen kurzen Exkurs, der auch nicht zu kompliziert und technisch wird – versprochen!
Wie Werbung im Internet funktioniert
Das Prinzip ist einfach: Ich habe eine Internet-Seite, die eine Menge Besucher*innen bekommt, meinetwegen Facebook. Weil ich nicht nur den Betrieb bezahlen sondern natürlich auch Gewinn machen möchte, zeige ich Werbung an. Andere Firmen kaufen bei mir Werbeplatz, in Form von Anzeigen an der Seite, gesponsortem Inhalt mitten zwischen normalem Inhalt und dergleichen mehr. Für gewöhnlich wird, stark vereinfacht, für gesehene Anzeigen bezahlt. Umso mehr Anzeigen ausgeliefert werden, umso mehr Geld bekomme ich, umso mehr Geld bezahlen die Firmen und die Firmen bekommen hoffentlich Kunden. Nun wollen die Firmen natürlich möglichst wenig Geld ausgeben für möglichst hohen Ertrag durch die Werbung. Also müssen möglichst wenige Anzeigen ausgeliefert werden. Werbung für Baby-Klamotten und sonstiges Zubehör zeigt man natürlich am besten hauptsächlich denjenigen, bei denen irgendwo im Umfeld ein Baby kommt oder schon da ist. Alle anderen haben wenig Interesse daran und die Werbung würde denen zwecklos gezeigt. Hört man ausschließlich Metal, braucht man nur wenig Werbung für Hip Hop sehen. Man sieht, wohin die Argumentation geht: zielgerichtete Werbung spart Kosten.
An zielgerichteter Werbung hat aber nicht nur die werbende Firma mit ihren Baby-Klamotten Interesse sondern auch ich als Betreiber der Internetseite. Wenn es bei mir möglich ist, mit der gleichen Menge eingesetzten Geldes möglichst viele interessierte Leute mit Anzeigen für Baby-Klamotten und Hip Hop zu beliefern, machen das natürlich auch mehr Firmen. Da rentiert sich das Geld-Ausgeben mehr.
Bei Facebook etwa ist das Schalten einer Anzeige sehr einfach. Nebst einiger anderer Dinge legt man die Zielgruppe der Werbung fest. Dazu definiert man diejenige Art von Person, welche die Anzeige sehen soll: durch Wohnort, gesprochene Sprachen, Alter, Geschlecht, Interessen (wie z.B. Hip Hop!), Familienstand, Kinder (Babys?), etc. Außerdem kann man noch mehr Dinge auswählen: Welche Autos die Leute fahren, was für ein Smartphone sie besitzen, Interesse an Nagelpflege, Ausbildungsgrad, ob man frisch verlobt (wählbar! Seit einem Monat, zweien, dreien…) oder vermählt ist, ob man in der Nähe seiner Familie wohnt oder weggezogen ist und noch viel mehr. Glaubensrichtungen sind auch ein Kriterium. Ist jemand jüdischen Glaubens, wird vermutlich weniger Werbung für Speck gezeigt, dafür Katholiken am Freitag Werbung für Fisch oder so.
Woher wissen die das alles?
In erster Linie hat man es natürlich selbst mitgeteilt. Die Profilinformationen bei Facebook hat man vermutlich mehr oder weniger detailliert ausgefüllt. Interessen lassen sich aus den „Gefällt mir”-Angaben ablesen, die man für Seiten oder Beiträge gegeben hat. Auf andere Dinge kann man schließen – etwa dass man selbst jüdischen Glaubens ist, wenn die Mutter es auch ist. Außerdem ist auch interessant, was die jeweiligen Freunde so machen. Hören alle Freunde gern Metal und man besucht oft zusammen Kneipen oder Discos, kann es gut sein, dass einer Person das auch gefällt und sie das daher gar nicht angeben braucht, weil das schon anhand der Freunde abgelesen werden kann. Ist man von lauter langhaarigen Bombenleger*innen (Hinweis: ich trage selbst zur Zeit langes Haar aber lege keine buchstäblichen Bomben) umgeben, brauchen AfD und FDP vermutlich keine Werbung zeigen, weil man aufgrund des Freundeskreis eher in ein anderes politisches Spektrum einsortiert wird. Welche Internet-Seiten man besucht, wird auch interessant. Sehr viele Internet-Seiten haben „Gefällt mir”-Knöpfe von Facebook, „tweet”-Knöpfe von Twitter, etc. Der Trick daran ist, dass diese Knöpfe zwar auf der Seite angezeigt werden, aber von Facebook bzw. Twitter ausgeliefert werden, also von deren Servern. Ist man nun bei Facebook online und einigermaßen gleichzeitig fordert jemand den „gefällt mir”-Knopf zur Ansicht an (Geklickt werden muss nicht!), ausgehend vom selben Computer, so kann Facebook recht verlässlich darauf schließen, welche Person denn jetzt gerade den Artikel liest.
Ging’s hier nicht mal um WhatsApp?
Klar, da kommen wir jetzt dazu. Nun gehört WhatsApp ja schon einige Zeit zu Facebook und jetzt teilen sie eben die Daten von WhatsApp mit Facebook. Das liefert noch viel mehr Informationen – immerhin wird der gesamte Bestand an Rufnummern aus dem Adressbuch zu WhatsApp hochgeladen, um zu sehen, wer in die Kontaktliste kommt. In vielen Kreisen geht auch der größte Teil der privaten Kommunikation fast ausschließlich über WhatsApp. Wer mit wem schreibt und wer wen im Adressbuch hat, lässt interessante Rückschlüsse auf die Einordnung von Personen in sehr vielen Belangen zu. Ist eine Person in ihrem Umfeld oder generell etwa nicht geouted, schreibt aber viel mit einer Menge anderer (geouteten) Personen homosexueller Orientierung, kann man dieser Person durchaus mal verdachtsweise das Attribut „homosexuell” geben. Dabei musste man jetzt nicht einmal einen Account bei Facebook haben oder dort die Orientierung eingetragen haben. Es reicht, WhatsApp für die eigene Kommunikation bereitzuhalten.
Das sollen jetzt nur einige Beispiele zur Datensammlung sein. Keineswegs ist die Aufzählung und Erläuterung damit abgeschlossen!
Was machen die denn mit diesen Daten?
Aus diesen Daten wird, wie man vielleicht schon ahnt, ein Profil konstruiert. Das ist meist nicht von den Nutzer*innen sicht- oder änderbar, vermutlich auch gar nicht vollständig korrekt. Gesammelt wurden allerhand werbe-relevante Informationen über eine Person. Ob da jetzt ein Name dabei steht oder nicht, ist sogar vollkommen unerheblich. Genauso uninteressant ist es, ob der Name korrekt ist oder ob sich die Person bei Facebook ein Pseudonym gegeben hat, mit verfälschtem Nachnamen oder so. Für die Anzeige spielt das ja keine Rolle. Man wird da ohnehin natürlich nicht als Invididuum angesprochen sondern als Mitglied einer ganzen Zielgruppe der Werbetreibenden.
Ja und?
Dann hat Facebook eben einen Haufen Informationen über mich! Immerhin bekomme ich dann Werbung, die mich tatsächlich interessiert und nicht für Nagellack, wenn ich eigentlich Holzfäller*in bin!
Das kann man sich jetzt berechtigt als Grundlage für die eigenen Entscheidungen nehmen. Direkte Gefahr oder Nachteil drohen in der Tat nicht. Man darf allerdings nicht vernachlässigen, wie viel dieses Vorgangs ohne ausdrückliche Zustimmung der jeweiligen Nutzer*innen von statten ging. Dazu wäre man aber auch gar nicht in der Lage, immerhin hat man dazu gar nicht ausreichend Informationen, um zuzustimmen. Das ist eine Menge Vertrauen, dass man Unternehmen, auf die man selbst keinen Einfluss hat, zugesteht. Viel mehr noch – man diversifiziert dieses Vertrauen nicht über eine Vielzahl verschiedener Unternehmen sondern vielleicht an zwei oder drei, die äußerst effektiv dazu in der Lage sind, das Vertrauen zu nutzen, um von Nutzer*innen nicht einseh- oder beeinflussbare Profile anzulegen.
Was kann ich machen?
Das bleibt eine Frage für ein anderes Mal. Es gibt dafür keine wirksame technische Lösung, denn es ist vielmehr ein gesellschaftliches Problem. Gesteuert und gestaltet werden diese Vorgänge, die tiefen Eingriff in das persönliche Leben haben, natürlich von den Füchsen im Hühnerstall.
PS: Was nichts hilft:
Im Angesicht eines unbewussten Bedrohungsgefühls und einer dazugehörigen Ohnmacht etablierten sich einige „Hausmittel”, die allerdings keinen wirksamen Schutz für die eigene Privatsphäre darstellen:
- Pseudonym bei Facebook wählen – der Name ist für das Profil vollkommen uninteressant.
- Auf der Chronik einen Widerspruch gegen Nutzungsbedingungen oder deren Änderungen veröffentlichen – hat keine rechtliche Wirksamkeit, liest außerdem auch niemand.
- Nichts bei Facebook posten – verglichen mit dem Abbilden des eigenen sozialen Netzwerks durch Schließen von Freundschaften und Online-Bekundung von Solidarität durch Klick auf „Gefällt mir” sind Posts auf Facebook ein Tropfen im Ozean.
- zusätzlich Telegram (o.Ä.) installieren – ein netter Ansatz, aber solange man WhatsApp schon das komplette Adressbuch hochgeladen hat und es außerdem noch weiterhin nutzt, bringt das zusätzliche Hochladen des Adressbuchs zu einem weiteren zentralen Dienst keinen Zugewinn an Privatsphäre. Ob die ausgetauschten Nachrichten jetzt Ende-zu-Ende-verschlüsselt sind oder nicht, spielt da überhaupt keine Rolle. Im Fall von Telegram sind sie das übrigens auch gar nicht, außer man wählt ausdrücklich einen privaten Chat.